Der Sommer, als wir unsere Röcke hoben und die Welt gegen die Wand fuhr by Elvis Peeters

Der Sommer, als wir unsere Röcke hoben und die Welt gegen die Wand fuhr by Elvis Peeters

Autor:Elvis Peeters [Peeters, Elvis]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-05-09T16:00:00+00:00


Freier Wille

Komisch ist es, das erste Mal ohne Femke. Vor allem weil es einer der Typen ist, mit denen sie es immer trieb.

Sie ist tot, sage ich.

Das stimmt zwar nicht, sie liegt ja noch im Koma, aber ich will ihm einen Schrecken einjagen. Die dunklen Seiten des Lebens seien mir nicht fremd.

Er stammelt und stottert rum, er kann es nicht fassen, tut sich schwer, als würde er es mit einer Leiche treiben, und ich stelle mich tatsächlich tot, dabei lache ich mich insgeheim kaputt und knöpfe ihm trotzdem Geld ab. Geschäft ist Geschäft.

Und noch einen Zuschuss für ihren Kranz, fordere ich. Das macht mir Spaß. Und tatsächlich gibt er mir was extra. Einen Tag später ist sie wirklich tot.

Aber es war komisch, weil ich dachte: So war das also mit Femke, und so wird es nie wieder sein. Zum ersten Mal begriff ich das Wort nie. Etwas, was es nicht mehr gibt, mit dem ich nicht mehr rechnen muss. Ein abgeschlossenes Kapitel.

Statistisch gesehen kann uns jetzt nichts mehr passieren. Der tödliche Unfall, der einem von uns in unserem Alter zustoßen musste, hat Femke getroffen. Ein solches Unglück mit Todesfolge brauchen wir nicht mehr zu befürchten.

Ich wachte auf, vollkommen klar im Kopf, nichts war mehr wie vor dem Schlafengehen. Meine Hände lagen an einer anderen Stelle. Die Erde hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht. Die Sonne stand oben, nicht unten. Die Geräusche waren andere. Das Haus knarrte, das Licht schien zu sirren, ich hörte eine Amsel singen.

Über wie viel überflüssiges Wissen ich doch verfügte.

Dass es sich um eine Amsel handelte, hatte mir mein Vater vor Jahren beigebracht. Einen Finger ans Ohr gelegt. Hör mal! Das Lied der Amsel. Unverändert, und seitdem höre ich keinen beliebigen Vogel mehr, sondern eine Amsel. All das habe ich im Kopf. Neben dem ganzen anderen Kram, von dem es mir im Hirn rauscht: Liebe, Höflichkeit, Hemmungen … Was soll’s, ich wachte also mit klarem und wachem Kopf auf. Das Bett durcheinander, durchwühlt. Das Licht säuselte hinter den Vorhängen, die Amsel sang, ich war am Leben, spürte, wie das Leben mich herausforderte, der Schauer, der mich überlief, brachte meine Nackenhaare wie Dornen in Stellung. Ich war da, und ich hasste es. In dieser einen Sekunde. Mit dieser ganzen blendenden Klarheit im Kopf. Ich hasste es.

Ich griff nach unten, stöpselte die Kopfhörer in meinen iPod, machte ihn an. Weg mit der Amsel und ihrer jahrhundertealten Botschaft. Amy Macdonald. Ich strampelte mein Bettzeug weg. In dem schräg stehenden Spiegel betrachtete ich meinen Körper. In einem Schleier aus träumerischem Licht, das die Gardinen umspielte.

Mit einem Fuß tastete ich nach dem Stuhl, der zwischen Fenster und Bett stand. Ich stieß ihn um, damit er den Vorhang im Fall einen Spaltbreit aufzog. Ein Lichtfetzen zerschnitt das Innere des Zimmers, warf sich übers Bett und zerschmetterte an der Wand. Mein Körper loderte in dem klaffenden Licht, nackt, frisch erwacht, jungfräulich, von mir allein. Zum Soundtrack von Amy Macdonald beobachtete ich im Spiegel, wie ich ein Knie hob, wodurch ein Schatten auf meinen Nabel fiel, das Knie senkte sich wieder und nahm den Schatten mit.



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